Der Ruf der Wüste

Der Ruf der Wüste

Ich war 13, als ich auf dem Boden der Bibliothek saß und im Regal der Religionsabteilung, einen Bildband über biblische Schauplätze fand. Ich blätterte darin und verlor mein Herz an die Wüste. Ich betrachtete die Bilder und wusste- wenn es einen Ort gibt, wo man Gott erfahren kann, dann ist es die Wüste. So majestätisch und alles vereinnahmend. Der Ursprung, so fühlte es sich an, von Allem. Die reine Natur, das Leben in seiner Essenz.

Ich schob diesen Gedanken als Träumerei in die hintersten Ecken meines Gedächtnisses. Doch hin und wieder kam dieses Gefühl hervor. Meine Seele schien nach der Wüste zu verlangen und immer wenn die Wüste ein Thema war, machte mein Herz einen kleinen Hüpfer.

Ich gründete meinen Blog und nannte ihn…das war noch vor einigen Jahren…Desert Dreams. Wüstenträume. Der Traum von der Wüste. Wüste und Islam das hing für mich immer zusammen. Ich war davon überzeugt, dass es einen Grund gab, warum die meisten Propheten in der Wüste lebten und das Allah den Wüstenbewohnern eine besondere Segnung zu Teil werden lies- oder vielleicht auch anders rum. Vielleicht waren die Bewohner der Wüste um soviel gläubiger und besser, weil sie die Gnade Allahs zu schätzen wussten. Und doch habe ich den Islam ohne die Wüste kennengelernt, habe ihn hier in Europa lieben gelernt, nicht wegen den Umständen, sondern weil Gott uns überall zugänglich ist, Al Hamduillah.

Doch die Wüste blieb für mich immer ein Sinnbild meiner Sehnsucht. Und so ließ ich auch die Fotos der Wüste, als ich meine Seite in Akhawat umbenannte. Die Wüste war eine Metapher für mich geworden. Und irgendwann hatte ich schon fast vergessen, dass ich die Wüste in Wirklichkeit sehen wollte.
Als ich das erste Mal in einem islamischen Land war, da war ich in einer Gegend abseits der Wüste. Die Wüste schien mir selbst hier so weit entfernt und fremd. Hier gab es das Meer und Berge, aber keine Wüste. Doch das war vollkommen ok für mich, weil ich die Berge liebte. Und ich dachte gar nicht mehr, dass ich die Wüste mehr lieben könnte, als die Berge, die majestätischen Pfeiler der Erde.

Ein Tag der alles verändert

Und dann eines Tages, am Abend, führte das Schicksal uns mit einer Gelegenheit zusammen, tatsächlich die Wüste zu sehen- abseits von Tourismus.
Ein Bruder, welcher einen geschäftlichen Termin am Rand der Wüste hatte, nahm meinen Mann und mich mit. Das wird kein Seight-Seeing, wir haben einen straffen Terminplan- stellte er gleich klar. Am selben Tag hin und zurück, einmal senkrecht durch das ganze Land. Ok, kein Problem, dass war es wert, einen Blick auf die Wüste zu werfen.

Als Tipp, wer auch sowas plant: Natürlich war es nicht irgendein Bruder, sondern eine Vertrauensperson. Man sollte sich schon gut überlegen, mit wem man solche Ausflüge in die Wüste unternimmt. Immerhin gibt es dort teilweise nicht einmal Handyempfang, wenn man ein Problem hat, hat man wirklich Eines.

Auch bedenken muss man, dass wir hier nicht von europäischen Straßen reden, die Fortbewegung also noch etwas länger dauert. Am Ende wurden es 1700 km und natürlich haben wir es nicht, an einem Tag geschafft. Insgesamt waren wir 40 Stunden unterwegs und haben dann doch ein bisschen Seight Seeing gemacht und uns auf dem Rückweg ein paar Städte auf dem Weg angeschaut.

Ich hatte keine Erwartung. Meine einzige Erwartung war, inshallah einen Blick auf die Wüste zu werfen.
Der Geschäftstermin am Rande der Wüste stellte sich dann, zu meiner Freude, als…doch nicht so am Rand der Wüste heraus, wie ich mir das vorgestellt hatte. Wobei das ja Ansichtssache ist und wohl doch der Rand, wenn man die Landkarte betrachtet- immerhin ist die ganze Wüste riesig. Letztendlich führte uns das 200 km weit in das Gebiet hinein. Die Landschaft wurde erst immer flacher, dann die Erde immer sandiger. Bis wir nur noch von Dünen und hin und wieder Palmen umgeben waren. Wir passierten mehrere Militärkontrollen, die immer häufiger wurden, je südlicher wir kamen. Die leeren Straßen und die ständige Fragerei „Wo kommt ihr her- Wo wollt ihr hin? Was macht ihr dort?, schien zumindest darauf hinzudeuten, dass hier nicht so viele Leute vorbeikommen.Tatsächlich geht es dabei aber auch darum, dass man keine Leute in den Tiefen der Wüste „verliert“ die sich nicht auskennen.

Ich hatte mittlerweile schon die Orientierung verloren, da ich nichtmal wusste, in welche Richtung wir überhaupt unterwegs waren. Google Maps funktionierte natürlich nicht. Ich hätte eine richtige Landkarte mitnehmen sollen.
Aber ich fühlte mich so glücklich und zufrieden, wie nie zuvor. Es spielte keine Rolle, wo ich genau war, oder wo wir hinwollten. Einfach hier zu sein, in diesem Augenblick, hatte ich mir nie träumen lassen. Dieser Augenblick umfasste alles.

Der Augenblick wird Unendlichkeit im Angesicht von Allahs Schöpfung 

Angekommen bei unserem Ziel, stieg ich ehrfürchtig aus dem Wagen. Schritte auf Wüstenboden, Wüstensand, so weich wie gesiebt. Meine Beine waren etwas wacklig, weil wir so lange ohne Pause unterwegs waren und der Temperaturunterschied zum Norden, machte mich kurz schwindelig. Es war hell, so hell und strahlend blauer Himmel, wie aus dem Bilderbuch.
Und zum ersten Mal spürte ich ein Gefühl, auf dass ich bereits die Hoffnung aufgegeben hatte. Zuhause. Ich dachte dass ich dieses Gefühl gar nicht empfinden kann. Ich habe es nie gehabt, nicht in meiner Heimat wo ich aufgewachsen bin, nicht in der Stadt wo ich lebe und leider auch nicht wirklich in der Heimatstadt meines Mannes, was ich damals so gehofft hatte-und wo ich mich zumindest besser fühle, als an den anderen Orten, aber das Heimat- Gefühl kam einfach nicht. Ich dachte, dass ich es vielleicht gar nicht empfinden kann und eigentlich war es ja auch egal.

Und plötzlich war es da. Eine innere Zufriedenheit, Leichtigkeit, ein Gefühl des Ankommenssein. Hier gehöre ich hin, auch wenn das absolut absurd ist. Die Deutsche gehört in die Wüste? Doch die Wüste leuchtet, ruft mich, lässt mich in der bebenden Stille endlich das sein, was ich bin. Und die Vollkommenheit Allahs liegt in jedem Sandkorn geschrieben.

Die Wüstenbewohner, nennen mich bei meinem islamischen Namen. Mein Herz macht einen kleinen Sprung. An diesem Ort der Seele, antwortet die Umgebung sogar mit meinem Seelennamen. Es fühlt sich an, als ob alles miteinander im Gleichgewicht steht und ich mitten drin. Niemand fragt, nach meinem richtigen Namen, wer ich bin, wo ich herkomme, oder was ich hier will. Niemand fragt mich aus. Ich muss mich für nichts rechtfertigen. Seit Langem. Ich sage nichts. Ich schweige und genieße. Und das ist ok. Und das ist das erste Mal, dass ich das Gefühl habe, dass es wirklich ok ist. Dass das Schweigen hier in der Wüste, ganz natürlich ist- weil hier die Stille so gegenwärtig ist. Und das bedeutet nicht, dass keine Kommunikation stattfindet.
Es bedeutet, dass die Erfahrungsebene hier so geweitet ist, dass die Antworten förmlich in der Luft liegen, im Herzen, im Sand. Und die Wüstenbewohner sagen immer wieder: Maktub. Maktub. (= Es steht geschrieben, es ist vorherbestimmt (dass ihr zu uns findet))- und ich mag die Art und Weise, wie sie diese Worte sagen. Voller Überzeugung, Stolz und Gastfreundschaft.
Maktub. Maktub. Bis heute hallen diese Worte in meinem Kopf wieder. Es stand schon geschrieben, als ich den Bildband in der Bibliothek öffnete und tief in meinem Herzen, habe ich es schon damals gewusst, dass mich etwas genau dorthin zieht.

“Der Diener wird nicht eher als gläubig bezeichnet, bis er an das gute und schlechte Schicksal (Qadar) glaubt und er weiß, dass das, was ihn getroffen hat ihn nicht verfehlen konnte, und das, was ihn verfehlt hat, ihn nie treffen konnte.”  (Sunan At-Tirmidhi, Hadith Nr. 2144)

Ein Ort der Stille und Wahrhaftigkeit

Unser Fahrer, der Händler, stellt uns als seine „Sahabi“ (meine Gefährten) vor. Sie nennen mich hier Rashida, weil der Fahrer das tut und hinterfragen das auch nicht. Im Norden nennt man mich meist nach meinem „richtigen Namen“. Ich bin gerührt und meine Seele freut sich über den Gebrauch meines islamischen Namens. Ich bin dankbar, dass hier niemand aufdringliche Fragen stellt.
Ich muss die ganze Zeit an die Geschichten der Sahaba denken. Ich denke daran, wie sehr ich nach diesem Verhalten, dieser Hingabe und dieser Demut von den Sahaba gesucht habe. Ich habe zwischendurch bereits aufgegeben und mir gedacht, dass mein Islam, anscheinend nicht der selbe Islam ist, wie er auf der Welt existiert. Dass ich einem Traum oder einer Eigeninterpretation hinterher jage. Dass der islamische Charakter, nicht in dieser Form existiert. Und plötzlich fühle ich mich, als würde ich zwischen den Sahaba stehen, denke an das Verhalten, was sich hier wiederspiegelt, sehe die Anmut, Stärke und die Demut in den Augen der Gläubigen, in einer Intensität, die ich nicht für möglich gehalten hätte.

Die Wüstenbewohner haben scheinbar ähnliche Gedanken- Nicht für möglich gehalten hatten sie ebenfalls, dass da eine Deutsche plötzlich vor Ihnen steht, unangekündigt, mitten in der Wüste, die noch dazu Muslima ist.

Von den Menschen geht eine extreme Freundlichkeit aus, die direkt aus dem Herzen zu kommen scheint. Kein Neid, kein aufgesetztes oder geheucheltes Interesse, keine Freundlichkeit aus Pflicht. Jeder Geste liegt Wahrhaftigkeit zu Grunde und jedes Wort ist überlegt und besonnen. Selbst die Männer sind schüchtern und demütig. Doch ihre Augen sind klar und fokussiert und ich meine das selbe Ziel in ihren Augen zu sehen: Allah.

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